Annäherung an Gustav Mahler: Ein Exkurs
Christine Gehringer am 10. Januar 2018
Eine Nachbetrachtung zum „Eggisrieder Seminar“ 2017 – und zugleich eine Empfehlung
Zwischen der Karlsruher Musikszene und dem Allgäuer Maler Erich Schickling (1924-2012) besteht seit Jahren eine fruchtbare Verbindung. In Eggisried, einem kleinen Weiler nahe der Marktgemeinde Ottobeuren, liegt die Wirkungsstätte des bildenden Künstlers, der hauptsächlich sakrale Räume, insbesondere Glasfenster gestaltete. Dem Haus Schickling verbunden ist seit langem Ulrike Meyer, Dozentin für Klavier an der Karlsruher Musikhochschule; Eggisried ist auch ihr Lebensmittelpunkt. Im Rahmen der von ihr mitgegründeten Schickling-Stiftung verwaltet sie nicht nur den künstlerischen Nachlass, sondern sie hält auch den ständigen Austausch zwischen Musik und bildender Kunst lebendig. Regelmäßig sind deshalb Karlsruher Musiker in den Räumen der Schickling-Stiftung zu Gast, oft auch im Rahmen mehrtägiger Vorträge. Ein Höhepunkt des vergangenen Jahres waren Annäherungen an den Komponisten Gustav Mahler im Rahmen des „Eggisrieder Seminars“. Ein Rückblick.Wer die Bilder des Malers Erich Schickling betrachtet, der erkennt, dass hier nicht nur (meist) christliche Motive dargestellt sind, sondern dass der Künstler immer wieder die Wurzeln der gesamten europäischen Kultur frei legt: Christlich, jüdisch, antik; mehr noch: Diese Kulturen wirken hier auf einzigartige Weise zusammen. Der Allgäuer Klarinettist Günter Schwanghart, der sich unter anderem mit der Klezmer-Musik beschäftigt und oft im Hause Schickling zu Gast ist, näherte sich dem Komponisten Gustav Mahler genau unter diesen Gesichtspunkten. „Kann man Mahler vom jüdischen Gedanken aus beschreiben?“ lautete seine Überlegung. Schwanghart betonte, dass man Mahlers Musik keinesfalls am Judentum festmachen kann.Doch bei eingehender Betrachtung ergeben sich bemerkenswerte Parallelen zwischen dem Wesen des Klezmer und dem Kompositionsstil von Gustav Mahler, auch wenn dessen Werke keine Klezmer- Elemente aufweisen.
Zunächst einmal waren die Klezmorim - die Interpreten des Klezmer – fahrende Spielleute, weshalb ihre Musik verschiedene Einflüsse in sich aufnahm. Und erst recht verbreitete sich die Klezmer-Musik, als die osteuropäischen Juden ihre Heimat verlassen mussten. So spiegelt der Klezmer in seiner Mischung aus verschiedenen Elementen im Grunde auch etwas Wesentliches im Judentum wieder: Nämlich das Leben im Exil, und die damit verbundene Anpassung und Assimilation. Es gehört zum Kern des jüdischen Daseins, mit verschiedenen Kulturen vermischt zu werden. Schon die Wortbedeutung gibt darauf einen Hinweis: Klezmer, das heißt „Gefäß des Liedes“; der Musiker selbst ist demnach ebenfalls ein Gefäß, er nimmt auf, und er gibt weiter. Vor allem aber treibt er die Melodien immer weiter, hinein in verschiedene Varianten, wobei die Moll- und Dur-Tonalität durchbrochen wird; das Ganze geschieht immer eindrücklicher, immer intensiver, hin zum Göttlichen und zugleich auch immer nahe am Abgrund. Bitterer Witz und Ironie, Trauer hinter dem Lachen – das gehört zur jüdischen Grundstimmung.
Ähnliches lässt sich auch über die Musik von Gustav Mahler sagen, und allgemein auch über das Lebensgefühl des „Fin de Siècle“: Alles löst sich auf, nicht nur die Tonarten in der Spätromantik am Übergang zur Moderne, sondern auch Monarchien und soziale Gefüge; im österreichischen Vielvölkerstaat brodelt es, es herrscht eine gewisse Endzeitstimmung, und zugleich stellt die Psycholanalyse die Frage nach den dunklen, verborgenen Trieben, der „Nachtseite“ des Menschen. Auch zu Mahlers Persönlichkeit gehört das Leid an der Existenz, und charakteristisch in seiner Musik ist auch hier die Vermischung verschiedener Einflüsse; eine Collage-Technik, die alte Hörgewohnheiten auflöst und mit ihren aufblitzenden Walzern und Volksweisen die Menschen zugleich dort abholt, wo sie sind.
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